Am 21.11.2011 erhielt ich von TKI – Tiroler Kulturinitiativen / IG Kultur Tirol eine Förderzusage; im Rahmen einer vorbildlich transparenten Jurysitzung wurden sieben Projekte aus insgesamt 56 Einreichungen zur Förderung ausgewählt, darunter mein Plakatprojekt „Wahlen sind Betrug“. Die Plakate mit dem prägnanten Slogan „Wahlen sind Betrug“ sollen als Serie von Citylights oder auf großformatigen Plakatflächen über den Zeitraum von zwei Wochen in Innsbruck affichiert werden.
Der Slogan „Wahlen sind Betrug“ („Elections piège à cons”) wurde im Mai
1968 in Paris geprägt. Die deutsche Fassung dieses Slogans, der in einer spezifischen historischen Konstellation geprägt wurde, wird nun über eine Fotografie gesetzt, die Tiroler Alpen zeigt. Vergleichbare Bilder tauchen immer wieder im Hintergrund von Plakaten wahlwerbender Parteien in Österreich auf. In der Plakatserie „Wahlen sind Betrug“ fehlen allerdings die üblichen PolitikerInnenporträts und bilden eine Leerstelle. Anstelle sinnentleerter Wahlwerbung ist die nüchterne Aussage „Wahlen sind Betrug“ zu lesen.
Überraschenderweise wurde mir am 21.12.2011 von der Kulturabteilung der Tiroler Landesregierung per E-Mail mitgeteilt, dass mein Projekt „nach nochmaliger eingehender Prüfung der eingereichten Unterlagen sowie nach Rücksprache mit Frau Landesrätin Dr. Palfrader seitens des Landes Tirol nicht gefördert wird.“ Meiner Bitte nach einer Begründung dieser ungewöhnlichen Entscheidung, eine von einer Fachjury in einem mehrstündigen Prozess ausgewählte Arbeit nicht zu fördern, wurde bisher trotz mehrmaligen Nachfragens nicht entsprochen.
Die einzige „Antwort“ war eine kurze E-Mail am 23.12.2011 von Frau Mag.
Nagiller-Wöll von der Kulturabteilung der Tiroler Landesregierung, in der sie darauf verwies, dass sie die Gründe für die Ablehnung in einem Gespräch mit einer Vertreterin von TKI (Dr. Anita Moser) erläutert habe.
In diesem Gespräch erklärte Mag. Nagiller-Wöll, die Tiroler Landesregierung könne meine Arbeit nicht fördern, da der Text auf dem Plakat falsch wäre.
Nicht Wahlen wären Betrug, sondern Wahlwerbung.
Die Tiroler Landesregierung maßt sich also an, eine von einer Fachjury in einer öffentlich vor Publikum abgehaltenen Sitzung als förderungswürdig befundene künstlerische Arbeit selber zu beurteilen, ohne scheinbar in der Lage zu sein, einer klar formulierten Projektbeschreibung inhaltlich folgen zu können.
In der Projektbeschreibung wurde folgendermaßen argumentiert:
„Walden Bello behauptet, die westliche Demokratie sei eine Idealsituation zur Sicherung der Fortdauer der Macht der Eliten; weil sie den Eliten erlaubt, ihre Dispute untereinander auszutragen, während sie gleichzeitig die Enteigneten, die Armen und die Arbeiterklasse aussperrt, obwohl sie ihnen seltsamerweise die Illusion vorgaukelt, sie hätten Anteil am Aufbau ihrer eigenen Zukunft und könnten am politischen Prozess mitwirken.* Wahlen mutieren im heute praktizierten System der repräsentativen Demokratie immer mehr zu sinnentleerten Ritualen, während die wirklichen Entscheidungen abseits öffentlicher Debatten von selbsternannten Politik- und Wirtschaftseliten, zunehmend im Rahmen internationaler Handelsorganisationen, der Weltbank oder transnationalen Staatenzusammenschlüssen wie der EU, gefällt werden.“
Die 5-köpfige Fachjury des TKI begründete ihre Entscheidung, „Wahlen sind Betrug“ zu fördern, mit folgenden Argumenten:
- Das Projektkonzept ist schlüssig und künstlerisch überzeugend; die für die Umsetzung geplante Bildsprache ist sehr gut gewählt.
- Mit „einfachen“ Mitteln kann Diskussion entstehen und eine breite Aufmerksamkeit erreicht werden.
- Gerade jetzt (und auch in Hinblick auf die Innsbrucker Gemeinderatswahlen im nächsten Jahr) ist ein solches künstlerisches Statement sehr wichtig.
Eine offizielle Begründung der Tiroler Landesregierung, sich über diese klar formulierte Juryentscheidung hinwegzusetzen, steht bisweilen aus.
Sie ist auch kein Einzelfall. Auch das in derselben Jurysitzung vom Fachbeirat des TKI ausgewählte Projekt „Alpenländische Studien“ von ritesinstitute, ein künstlerisches Forschungsprojekt zum Umgang des Landes Tirol mit seiner NS-Vergangenheit, fand vor den gestrengen Augen der Tiroler Landesregierung keine Gnade und wurde mit demselben Wortlaut wie mein Projekt abgelehnt.
Damit stellt sich die Tiroler Landesregierung gegen die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Kunst und versucht zu bestimmen, was KünstlerInnen öffentlich zu sagen haben und was nicht. Für die Verhinderung politisch unliebsamer Arbeiten gibt es eine Bezeichnung:
Zensur
Es ist den TirolerInnen zu wünschen, dass sie ihre reaktionären PolitikerInnen mitsamt dieses sie angeblich repräsentierenden Systems, in dem Wahlen nur mehr die Funktion der „Legitimation durch Verfahren“ (Niklas
Luhmann) zukommt, möglichst bald in die Wüste der Bedeutungslosigkeit schicken.
Oliver Ressler, Künstler und Filmemacher, lebt in Wien. www.ressler.at
*vgl. David McNeill in der 8-Kanal Videoinstallation „What Is Democracy?“ von Oliver Ressler, 2009
Das Plakat „Wahlen sind Betrug“ wird auf Anfrage (E-Mail an
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) gerne in einer druckfähigen Auflösung zur Verfügung gestellt.