Aus Tschernobyl nichts Neues
Ukrainische Behörden wiegeln nach jüngstem Vorfall ab
von Bernhard Clasen
Nachdem in der Folge von starkem Schneefall am 12. Februar dieses Jahres im Unglücksreaktor 4 von Tschernobyl Dach und Wand der Maschinenhalle teilweise eingestürzt sind, sehen die ukrainischen Behörden keinen Grund zur Beunruhigung. Die Exkursionen durch das Reaktorgelände für neugierige Besuchergruppen finden wie gewohnt statt. „Business as usual“ ist angesagt. Am 15. Februar machte sich der ukrainische Umweltminister Oleg Proskurjakow persönlich ein Bild vom Reaktor, wohnte der Sitzung der für die Aufräumarbeiten zuständigen Kommission bei.
Telefonische Anfragen bei den zuständigen ukrainischen Behörden werden mit dem lapidaren Hinweis beantwortet: „Besuchen Sie die Homepage des Reaktors von Tschernobyl, dort finden Sie alle relevanten Informationen“.
Bei Navarka, dem Konsortium der Firmen Vinci + Bouygues Travaux Publics, das mit Geldern der EBRD an einem neuen Sarkophag arbeitet, war unter der offiziellen Adresse in Kiev niemand erreichbar. "Please check the number and try again" antwortete mir eine freundliche Damenstimme.
Der Einsturz von Betonplatten an der Decke des Maschinenraumes in Tschernobyl sei nicht weiter schlimm, berichtete der Chef des Unterausschusses des Parlamentes der Ukraine zur Beseitigung der Folgen der Katastrophe von Tschernobyl, Walerij Kaltschenko, ukrainischen Medienberichten zufolge.
„Ein Teil des Daches des Maschinenraumes zwischen dem 4. und dem 3. Block ist wegen Schneefall eingestürzt. Betroffen hiervon ist eine Fläche von 500-600 qm. Vor Ort sind bereits Rettungskräfte und die Miliz im Einsatz. Sie räumen den Schnee, sind mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Die Strahlenbelastung ist im Normbereich“ so Kaltschenko.
Umweltorganisationen sehen hingegen keinen Grund zur Beruhigung.
„Selbst wenn sich die Strahlenbelastung nicht erhöht hat, ist dies ein sehr beunruhigendes Signal“ kommentierte der Leiter des Energieprogrammes von Greenpeace Russland, Wladimir Tschuprow, diese Aussage. „Sollten die Deckenplatten im Maschinenraum herabgestürzt sein, gibt es keine Garantie, dass nicht auch der Sarkophag einstürzt, der 1986 gebaut worden ist. Die Betriebsdauer des alten Sarkophags geht ihrem Ende entgegen. Das ist ja auch der Grund, warum ein neuer Sarkophag gebaut wird.“ so Tschuprow.
„Das größte Problem des Sarkophags ist der feine Diffusionsstaub, der sich in seinem Inneren angesammelt hat. Dieser Staub war immer radioaktiv. Sollte dieser Staub in die Umwelt gelangen, stellt er eine Gefahr dar, die Dutzende von Kilometern Fläche im Umkreis belasten wird. Eine lokale erneute Verstrahlung ist nicht auszuschließen.“ so Tschuprow.
Nach Angaben von Greenpeace Russland werden als Folge des Reaktorunglücks von Tschernobyl am 26. April 1986 zusätzlich 90 Tausend Menschen an Krebs sterben. Die Katastrophe von 1986 werde noch mehrere hundert Jahre eine Gefahr für die Menschen darstellen, so Greenpeace.