Salzburg, bei der Gemeinderatswahl und nicht nur da, auf den Hund gekommen

Eine Erledigung
von
Dieter Braeg

Die Mozartkugelfestspielstadt wählt im März 2014 einen neuen Gemeinderat. Und was und wie man da den Wählerinnen und Wählern per Wahlwerbung mitteilt, dass sie nur dummes Stimmvieh sind, ist beispielhaft.

Vor der Wahl, da gibt es ein wenig Geschichte. Salzburg war immer schon ein Bollwerk der katholischen Kirche. Die Erzbischöfe Salzburgs tragen heute noch den Titel „Primus Germaniae“ - sie haben und hatten das Recht, sich geborene Legaten, also ständige Vertreter des Papstes zu nennen. Zur Festspieleröffnung findet, Jahr für Jahr, ein Fackeltanz statt. An diesem Ort fand am 30.4.1938, nach der vom österreichischen Volk zum größten Teil freudig begrüßten Vereinnahmung durch Nazi-Deutschland, die einzige Bücherverbrennung auf dem heutigen Gebiet der Republik Österreich statt.

Wer das „ewig Gestrige“ liebt, kann in Salzburg bald mehr als 70 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft noch immer Straßennamen, Inschriften und Erinnerungstafeln entdecken, die einen verantwortungslosen Umgang mit einer der menschenverachtendsten Epoche der Geschichte darstellt. So schreibt die Stadt Salzburg - die Max Reinhardt (er wohnte im Schloss Leopoldskron) als

Festspielgründer selbst wegen der Nazis verließ - Werte des Nationalsozialismus fort und ehrt Personen, die dieses verbrecherische Regime aktiv mitgetragen haben oder im Vorfeld mit ihren Gedanken den Weg bereiteten.

So findet man im Mirabellgarten eine Büste des als „Turnvater“ bekannten Friedrich Ludwig Jahn mit der Inschrift „Den Deutschen kann nur durch Deutsche geholfen werden.“ Nur die „Reinheit“ des Volkstums könne, so Jahn, den Untergang abwenden.
Aber auch die Heinrich-Damisch-Straße in Salzburg dokumentiert, wie sehr Salzburg ewig gestrig blieb und bleibt. Bereits 1932 trat Heinrich Damisch (1872 - 1961), als Österreich noch demokratisch war, in die NSDAP ein. Deutsche NS-Experten: “Er ist aufrechter Nationalsozialist und kommt aus dem illegalen Kulturkampf.“ Viele Jahre war Damisch Kulturredakteur nationalsozialistischer Zeitungen. Hier ein Auszug aus einem Artikel: „Zu den stärksten Demütigungen des arischen Geistes nach dem Weltkriege gehörte die Imprägnierung der Musik mit den verschiedensten Formen des Jazz mit seinen negroiden Rhythmen und der dem Judenohr besonders angenehmen Nasalinstrumente. In dieser Niggermusik konnte sich das artverwandte Judentum völlig ausleben (...).“ 1956 bekam Damisch die Goldene Medaille der Mozartstadt Salzburg verliehen und 1963 wurde nach ihm eine Straße in Salzburg benannt.

Nicht genug, ehrt Salzburg noch heute mit einer Ehrengruft auf dem St. Peter Friedhof, nahe dem Festspielbezirk, den „Bildhauer des Führers“ Josef Thorak (1889 - 1952). Büsten von Hitler und Mussolini, Monumentalplastiken für NSDAP-Bauten in Nürnberg, der Berliner Reichskanzlei, Kriegerdenkmäler und ein überdimensionales Fries für das nationalsozialistische „Denkmal der Bewegung“ in München zählten zu seinen Werken. Thorak war einer der wichtigsten Künstler, der die nationalsozialistische Ästhetik vertrat.  Unzählige Figurengruppen aus Muskelmännern und auch Muskelfrauen, die er schuf, entsprachen dem nationalsozialistischen Kunstideal der Heroisierung und der Verherrlichung von Kraft und Stärke. Er forderte persönlich aus dem KZ Dachau Gefangene an, die in seinem Münchner Atelier Hilfsarbeiten zu verrichten hatten.  Bei einer SS-Ausstellung im Jahre 1944 in Salzburg durften die Besucher auch eine Führerbüste von Thorak bewundern. 1952 wurde Thorak im Friedhof  St. Peter begraben. Es ist ein Ehrengrab! Seine Gruft ziert eine Pietà, die er noch selbst anfertigte. Im Jahre 1963 wurde in Salzburg eine Straße nach ihm benannt. Zwei seiner Statuen (Kopernikus und Paracelsus), die im Auftrag des NS-Staates von ihm erstellt wurden, stehen im Kurgarten der Stadt Salzburg. 

Aber auch der Dichter folgender Zeilen, „All dö Stände und Vareine / Von gaunz Salzburg, Stadt und Land / Griaßn unsern lieab’n Führer / Hiazt durch mit Herz und Hand… / Mir ham nur den oanzig’n Glaub’n g’habt / Daß da Führer für uns wacht / Der an Weg für uns macht gangbar / Zu an Morgen aus da Nacht.“, Otto Pflanzl, hat eine „Ehrengruft“ in den Arkaden des Friedhofs  St. Peter. Er starb 1943, aber bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts geisterten seine Mundarttexte durch Schulbücher und waren gern an den Stammtischen des Landes und der Stadt Salzburg gehört.

Dass es 1945 nach Kriegsende im Kriegsgefangenenlager Glasenbach der US Army den dortigen Gefangenen - unter ihnen viele Nazigrößen - besser ging, als der restlichen Salzburger Bevölkerung, ist nur ein weiteres Kapitel einer bis heute skandalösen Verweigerung, sich mit der Geschichte der Naziverbrechen zu beschäftigen. Oder falls doch, dies in einer Art Verharmlosung zu tun, die der Ideologie „es muss doch endlich einmal damit Schluss sein“ folgt. Aber in Salzburg ist nicht Schluss. Hier hat sich ein Bürgertum entwickelt, das seit den Befreiungskriegen 1813/14 Fuß gefasst hat. Der politische Wahrnehmungshorizont dieses Bürgertums drückt sich aus in der Feststellung, Salzburg sei die „teutschest gesinnte Stadt Österreichs“, und was sich daraus entwickelte bis zum heutigen Tage, das sollte nicht unter den Tisch gekehrt werden.

Als ich mit elf Jahren in das Land Salzburg kam, da war ich „Zuagrosta“ (Zugereister) und das bin ich heute noch. Die Fremdenfeindlichkeit dieser Gegend, die nur dann scheinheilig unterdrückt wird, wenn die Hurerei des „Fremdenverkehrs“ Geld in die Kassen spült, hat nie ein Ende gefunden. Sie feiert perverseste Urständ zum Beispiel mit der Forderung, dass endlich der Zuzug deutscher Studentinnen und Studenten an Salzburgs Universität quotiert werden muss. Es war die 1968-Generation, die in Salzburg dazu beigetragen hat, dass die Erinnerung an die Naziverbrechen nicht verdrängt sondern aufzuarbeiten ist. Wien wirbt damit, es sei anders, Salzburg aber scheint gleich zu bleiben. Seit November 2013, rund um den Stichtag der Reichskristallnacht, da begann die immer weiter um sich greifende Eskalation. Ein Informationsladen, betrieben von Antifaschisten,  in Salzburgs Lasserstraße, wurde mit gelber und roter Farbe beschmiert. Wenig später wurden Fenster des Ladens zerstört. Dazu wurden die Sicherheitsanlagen der Synagoge herausgerissen und beschmiert.
Viele Stolpersteine, die an die Vertreibung und Ermordung von Juden und Oppositionellen erinnern, wurden zerstört oder mit schwarzer Farbe unkenntlich gemacht. Auch das Volksheim der KPÖ Salzburg in der Elisabethstraße wurde „behandelt“; dort wurde ein Zitat von Karl Marx beschmiert und das Türschloss mit Superkleber verklebt.

Anfang 2014 wurden dann die Davidsterne der Synagoge mit gelber Farbe beschmiert, und vor wenigen Wochen wurde das Mahnmal für Nazi-Opfer auf dem Salzburger Kommunalfriedhof geschändet. Das Ehrenmal "Dem Gedenken der Opfer für Freiheit und Menschenwürde" wurde großflächig mit dem Namen des deutschen Rechtsextremisten Horst Mahler beschmiert. Dies geschah am Holocaust-Gedenktag! Schon im Dezember wurde der Name des 1930 verstorbenen SA-Sturmführers Horst Wessel mit schwarzem Lackspray aufgesprüht. Zwei Schmierer sitzen in U-Haft, trotzdem sind antisemitische und faschistische Schmierereien in vielen Vierteln der Stadt Salzburg vermehrt aufgetaucht. In der grenznahen deutschen Stadt Freilassing hat die Polizei Transparente mit dem Text „Vergesst nicht die Feuernacht von Dresden!“ sichergestellt. Unbekannte haben sie in Freilassing und in Ainring aufgehängt. Sie beziehen sich auf die Bombardierung Dresdens im Februar 1945.

Salzburg im Frühjahr 2014 - vor einer Wahl

Die etablierten Volksvertreter und mittlerweile auch ein Wiedereinsteiger in die Salzburger Stadtpolitik lassen sich mit ihren Vierbeinern auf Wahlplakaten abbilden, gerade so, als ob es in Salzburg - außer zu wenigen Hundewiesen - keine Themen gäbe. Ein sturer Hund, ein kleinerer Hund und ein Zwergpinscher mischen die Salzburger Plakatszene für die Gemeinderatswahl so richtig auf! Nur was vielleicht lustig gemeint ist, ist für große Teile der Stadtbevölkerung schon lange kein Spaß mehr. So wirbt der bisherige sozialdemokratische Bürgermeister damit, ein „sturer“ Hund zu sein. Mit Hund!
Auf Plakaten oder Aussendungen finden sich keine konkreten Aussagen zur Verbesserung des katastrophalen  öffentlichen Verkehrs, keine konkreten Aussagen zu Zukunftskonzepten (Raumordnung, Flughafen, Wuchermieten, Lärm- und Feinstaubbelastungen über EU- Normwerten, Förderungsreduzierung der sowieso schon schlecht finanzierten freien Kulturszene), keine konkreten Pläne für eine Wiederbelebung der Salzburger Altstadt für Einheimische, keine konkreten Konzepte für die Förderung von Betriebsansiedelungen und damit Schaffung neuer Arbeitsplätze, und schon gar keine konkreten Pläne, wie man die horrenden Miet- und Kaufpreise für Wohnungen noch halbwegs in den Griff  bekommen möchte.

Dafür gibt es reichlich Unverbindliches. Die FPÖ fordert, man solle sie „Aus Liebe zu Salzburg“ wählen. Gleichzeitig fordert sie ein Bettelverbot. Der ehemalige FPÖ-ler, BZÖ-ler Edi Mainoni plattitüdet mit „Schaden verhindern, Edi wählen“. Die bürgerliche ÖVP mit ihrem bisherigen Vizebürgermeister Harald Preuner meint „Es geht auch anders“. Der Fahrschulbesitzer will, noch immer, Salzburg zur autofreundlichen Stadt umgestalten und meint „Für Bettelverbot. Bettelbanden in Salzburg sind inakzeptabel.“  Die NEOS,  die schon bei ihrem ersten Antritt in den Nationalrat einzogen, reden viel, meinen viel, meist Unverbindliches. In Salzburg wird auf  NEOS-Wahlplakaten verkündet: “Am 9.März: Salzburg wachküssen!“  Weitere Parolen, die eigentlich von jeder Partei plakatiert werden könnten, weil da kaum konkret vom Wähler überprüfbare Forderungen verkündet werden: Leistbares wohnen. Für Salzburg - wir handeln. Umwelt gut. Alles gut. Zuverlässig! Transparent!

Die Salzburger Politikerinnen und Politiker tun so, als ob sie das alles nichts anginge. Der Wähler wird mit herzigen Vierbeinern eingelullt und außer mit Worthülsen wie „Kämpfen“ (wofür und für wen?), „Durchstarten“ (wohin und mit wem?), „Wachküssen“ (wen und warum?) im Ungewissen gelassen. Dabei lastet die Staatsanwaltschaft der Stadt in einem internen Erstgutachten bis zu 3,9 Mio € Schaden an, dazu gab es Bürodurchsuchungen und Einvernahmen. Politik und Gemeinderat haben den Menschen, die in dieser Stadt leben, Schaden zugefügt. Und da bleibt die Frage; ob man den gleichnamigen Bewerber für das Bürgermeisteramt, Heinz Schaden, wieder wählen kann.

Mit dem Thema „Bettler“ schließt sich der Kreis. Man entdeckte die Bettler als Wahlkampfthema. Die ÖVP  verkündet in alter FPÖ-Manier Salzburg zur „Stadt der organisierten Bettlerbanden“. Eduard Mainoni vom Team Salzburg verteilt Folder, in denen er die Salzburger geradezu beschwört, Bettlern kein Geld zu geben. Und die „Bürger für Salzburg“ wollen eine Kontingentierung.  Da schließt sich der Kreis zu jener Geschichte, die man in Salzburg noch immer in vielen Fällen lieber verdrängt. Die Mythen von den organisierten Banden machen die Runde, von kriminellen Strukturen ist die Rede, von der „Bettler-Mafia“. Nichts davon lässt sich beweisen.
Will man die Bettler kasernieren, ausweisen, abschieben? Hat die Politik und haben die Menschen in Salzburg vergessen, dass es ein "Zigeunerlager Maxglan" gab. Es wurde 1939 errichtet. Das Lager war mit einem Stacheldrahtzaun umgeben, und die aus allen Salzburger Landesteilen eingewiesenen Insassen lebten unter haftähnlichen Umständen. Die Männer wurden zur Regulierung des Glanbaches eingesetzt. Anfang 1943 wurde das Lager aufgelöst und die ca. 300 Zigeuner nach Auschwitz abtransportiert.

Die Sprache, mit der in Salzburg das „Bettelproblem“ behandelt wird,  suggeriert, dass es einen Kampf geben müsse - auf der einen Seite das Recht und die Ordnung, auf der anderen Seite das Verbrechen. Das Elend wird aus der Stadt getrieben, die sich am Domplatz das „Jeeeeeedermann“ -Geplärre leistet. Bettelfrei. Wie sehr wieder Naziparolen aufleben, Fremdenhass gepredigt wird, das spielt im Wahlkampf keine Rolle. Was hier läuft, ist ein Wahlkampf der dummdreisten armseligen Art.
Das Schlusswort hat Thomas Bernhard: „Die Schönheit meiner (einer) Heimat ist nur ein Mittel, ihre Gemeinheit und ihre Unzurechnungsfähigkeit und Fürchterlichkeit, ihre Enge und ihren Größenwahnsinn mit erbarmungsloser Intensität fühlen zu lassen.“

Dieter Braeg
Fotos: Dieter Braeg