Die „Kurzokratie“

oder

Quereinsteiger-Nationalratswahlen in Österreich

 

Im Jahre 2008 meldete die bürgerliche Österreichische Volkspartei (ÖVP) eine Zahl von 700 000 Mitgliedern, während die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) im Jahre 2014 etwas mehr als 200 000 Mitglieder hatte. Die „Bündepartei“ ÖVP hat in den letzten 10 Jahren vier Vorsitzende verbraucht und es dabei immer nur geschafft, in Österreich per Vizekanzler mitzuregieren. Auch in der jetzigen Koalition reichte es nicht, führende politische Kraft zu werden. Allerdings profilierte sich der Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), der Erdogan - als belagerten die Türken mal wieder Wien - die Rote Karte zeigt. 

Dass in Österreich das Volk nur eingeschränkte Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Politik hat, wird deutlich bei dem, was der Herr Kurz in seiner Partei durchsetzte:

 Eine eigenständige Wahlliste na­mens „Liste Sebastian Kurz - Die neue Volkspartei“, die auch für Nicht-Mitglieder offen ist.

  1. Frauenförderung per Reißver­schlusssystem: Auf allen Wahllisten der ÖVP müssen abwechselnd eine Frau und ein Mann stehen.
  2. Neue Listenerstellung: Kurz will ein Vorzugsstimmensystem zur Kandidatenauswahl, freie Hand bei der Bundesliste und ein Vetorecht bei den Landeslisten.
  3. Kurz erhält freie Hand bei Bestel­lung von Regierungsteam und Ge­neralsekretariat.
  4. Kurz bekommt freie Hand bei Koalitionsverhandlungen.
  5. Kurz übernimmt die alleinige in­haltliche Führung der Partei.
  6. Alles dies wird in den Statuten der Partei verankert.

 Die Mitgliedschaft der ÖVP hat da nichts mitzubestimmen; die Gesetze in Österreich lassen zu, dass auf diese Art, vorbei an eigentlich selbstverständlichen demokratischen Regeln, Politik betrieben wird. Der Hauptslogan zur Nationalratswahl der Kurz-ÖVP, der „Liste Sebastian Kurz - Die neue Volkspartei“, heißt: „Es ist Zeit“.

Mit Quereinsteigern wie etwa dem ehemaligen Grün-Politiker Efgani Dönmez, der Opernball-Organisatorin Maria Großbauer und dem Mathematiker Rudolf Taschner, der Salzburger Personalunternehmerin Tanja Graf, dem Wiener Landespolizeivizepräsidenten Karl Mahrer und der ehemaligen Stabhochspringerin Kira Grünberg - sie ist mit 24 Jahren die jüngste Kandidatin auf der Bundesliste der „Kurz-ÖVP“ - sind alle auf der Bundesliste auf die ersten zehn aussichtsreichsten Plätze gereiht. Natürlich von Sebastian Kurz, ohne Beteiligung der ÖVP-Mitgliedschaft. Ein Beweis, wie wenig in Österreich innerparteiliche Demokratie eine Rolle spielt, die auch nicht, wie in Deutschland, durch ein Parteiengesetz geregelt wird.

Dass die Presse diese Art von „Kurz-Diktatur“ noch meist positiv kommentiert, passt zur Medienaufklärung in Österreich, die Bürgerin und Bürger durch reichlich veröffentlichte Wahlwerbung erleichtert wird. Die österreichische Sozialdemokratie ermuntert: „Holt Euch, was Euch zusteht!“  Etwa den 12 Stunden Tag, den der KTM Chef  Stefan Pierer fordert, der der KUTZ ÖVP eine Wahlspende von 436.463 € zukommen ließ?

Neun Parteien kandidieren in ganz Österreich. Die bisher im Nationalrat vertretenen Parteien: SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne und Neos. Diese Neoliberalen haben sich auch ein wenig „umgetauft“ und firmieren unter „Das Neue Österreich, gemeinsam mit Irmgard Griss“. 

Dazu kommen noch, entweder unterstützt durch drei Nationalratsunterschriften oder eine ausreichende Anzahl von Unterstützungsunterschriften normaler Wahlberechtigten für eine Kandidatur je Bundesland (Burgenland: 100, Kärnten: 200, Niederösterreich: 500, Oberösterreich: 400, Salzburg: 200, Steiermark: 400, Tirol: 200, Vorarlberg: 100), folgende Gruppierungen, die österreichweit antreten: „Liste Peter Pilz“, langjähriger Grüner, den diese Partei nicht mehr zur Kandidatur zuließ. Die „Freie Liste Österreich“; sie ist eine Abspaltung von der FPÖ, in der vor allem ehemalige FPÖ-ler aus dem Bundesland Salzburg kandidieren. „G!LT“ ist eine Liste des Kabarettisten Roland Düringer; sein Ziel: „Im System offener Demokratie können alle Bürgerinnen und Bürger Themen im Parlament einbringen“. Die KPÖ hat sich mit den jungen Grünen - sie wurden aus der Mutterpartei ausgeschlossen - zur Liste „KPÖ plus“ zusammengefunden. Spitzenkandidat ist Mirko Messner; ihm folgen zwei Frauen, Flora Petrik und Ulli Fuchs. „Die Weißen“ kandidieren unter dem Motto: „Die Weißen - das Recht geht vom Volk aus“. Dazu kommen noch 6 Parteien/Gruppierungen, die in einzelnen Bundesländern kandidieren und keine Chance haben, im Nationalrat vertreten zu sein.

Zu einer gemeinsamen „linken Liste“ kam es nicht, und so wie die Entwicklung aussieht, wird da noch viel Wasser die Donau herunter fließen, bevor sich da etwas heranbildet.

Neben den jetzt schon im Nationalrat vertretenen Parteien (SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne, Neos) - die Partei des Millionärs Stronach hat sich innerhalb der Legislaturperiode komplett aufgelöst - hat wahrscheinlich nur die Liste Pilz eine berechtigte Chance auf einen Einzug in den Nationalrat. Die populistisch-nationale FPÖ mit ihrem Vorturner H. C. Strache darf besorgt in eine ungewisse Zukunft schauen, weil Sebastian Kurz sie problemlos rechts überholt, da hilft der FPÖ Slogan „Der rot-schwarze Speck muss weg!“ sicher nicht. Damit nicht genug, hat sich auch der jetzige Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) auf den Weg gemacht, der völkischen FPÖ jene Tür zu öffnen, hinter der man dann, zum weiteren Machterhalt, über eine Koalition mit den National-Reaktionären nachdenkt. Erwartet wird nach der Wahl eine Koalition aus ÖVP/FPÖ oder SPÖ/FPÖ oder, mal wieder, das SPÖ/ÖVP- oder ÖVP/SPÖ-Bündnis!

 Im Mai 1970 schrieb der leider in Vergessenheit geratene und früh verstorbene Südtiroler Autor Norbert C. Kaser ein Gedicht; es passt nicht nur zur Nationalratswahl in Österreich:

 „im winter fuettert ihr

die armen voegelein tot

im fruehling waehlt

ihr gruen und rot

am liebsten beides

(´s ist kein unterschied)

im sommer dann macht ihr

politik fuers tote

rote gruene vaterland

im herbst seid ihr

schon engagiert

im hinterzimmer vom

guten hirschenwirt

so rundet sich fuer

euch das jahr

wie gut dass es nicht

anders war“           

 Kurzokratie? Quereinsteiger? - Die Intelligenz beleidigende Wahlplakate!

 Erinnern wir uns des Spruches „Bella gerant alii, tu felix Austria nube.“ - „Kriege führen mögen andere, du, glückliches Österreich, heirate.“

 In Abwandlung: „… du, glückliches Österreich, wähle!“

Lieber nicht!

 

Dieter Braeg