„Ich lebe zu einsam, um einsam zu sein. Aber von Goethe möchte ich nichts geschrieben haben. Schon deshalb nicht, weil ich ihn dann mit dem teutschen Professorendreckgeschwerl und alten übrigen Hakenkreuzler gemein hätte, die alle die Dummheit gepachtet und keine zwanzig Zeilen in ihrem Leben schreiben, ohne sich auf ihn zu berufen. Ihn zu zitieren. Wo nimmt die Bande nur die Frechheit her, vom Großen Hellenen zu quitschen.“
In seiner gänzlich eigenen Interpretation der deutschen Rechtschrei¬bung rechnet fakob Haringer 1928 in dem Text „Leichenhaus der Literatur oder über Goethe“ mit dem Literaturbetrieb ab.
Die in diesem Buch veröffentlichten Gedichte und Texte wollen den Dichter Jakob Haringer ein wenig jener Vergessenheit entreißen, die dem von Bestsellerlisten und Einschaltquoten getriebenen Literaturbetrieb eigen ist, in dem kaum Zeit bleibt sich um in Vergessenheit geratene Werke zu bemühen. Haringers „Räubermärchen“ passt mit seiner bei¬ßenden Kritik an Hierarchie und Bürokratie auch in die heutige Zeit. Seine nach 1933 in verschiedenen österreichischen Zeitungen und Zeit¬schriften abgedruckten Texte („Ich, der Kater Josef Mayer“, „Der Affe als Heiratsvermittler“, „Nekrolog auf die arme Dienstmagd Leopoldine Weiss“, „Die Heimkehr“ und „Der Bürger von Russo“) zeigen, wie sehr er ein Schreibender war, was er sah, was er empfand, wie er lebte und erlebte. Seine Begegnungen mit den Menschen und Gegenden, vor allem im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet, finden sich in vielen Gedichten wieder. Salzburg, Bad Reichenhall oder Wien werden durch ihn in einer Weise lebendig, die mitunter an Georg Trakl und seinen Text
„Über die Liebe zu Büchern“ erinnert In einer Zeit, die den Untergang der gedruckten Magie verkündet, ist er heute aktueller denn je.
Peter Härtling schrieb im März 1962 in der Zeitschrift Der Monat: „Die Pilger wie die Gaukler werden gern vergessen, wenn sie das Nichts erreicht haben. Ihre Gestalt geht auf ins Unsichtbare, nach dem sie sich gesehnt haben. Was sie zurückließen, das sollte gepflegt werden. Es ist eine Form des Gedenkens, die am Ende Freude macht. Und Jakob Haringer war der letzte deutsche Dichter, der sich von dem unerreichbaren Bild der Blauen Blume verneigte.“
Im Jahre 1988 erschien, herausgegeben von Hildemar Holl, die 206 Seiten starke Sammlung ausgewählter Lyrik, Prosa und Briefe Jakob Haringers mit dem Titel „Aber der Herzens verbrannten Mühle tröstet ein Vers“ im österreichischen Residenz Verlag. Anlass war wohl auch der Beschluss des Salzburger Gemeinderates, eine Straße nach dem in Vergessenheit geratenen Dichter zu benennen. Nach 30 Jahren ist es nun abermals an der Zeit an diesen Dichter, der im Grenzgebiet Bad Reichen- hall-Salzburg viele Jahre lebte und dichtete und dabei Freundschaften wie Feindschaften pflegte, zu erinnern. Neben einer Auswahl seiner Prosa und Dichtung werden wir uns auf die Suche nach Zeugen und Bekundungen seines Lebens und seines Lebenswandels begeben, die es uns erlauben, einen tieferen Blick in diese Dichterseele zu werfen.
Die der eigentlich harmlosen „Teppichschmuggelaffäre“ entsprungenen Aktenberge sind dabei ebenso Auskunftsquelle über Person und Denkart des Dichters wie bisher unveröffentlichte Gutachten und Briefe von Förde¬rern. Darunter etwa Alfred Döblin, der Haringer als einen der „genialsten
Dichter des neuen Deutschland* lobte. In dem beim Gustav Kiepenheuer Verlag im Jahre 1925 veröffentlichten Band „Dichtungen“ schreibt Döblin in einer Beilage „Einen Gruß für Jakob Haringer als Vorrede zu seinen Dichtungen“: „... Es gibt in der deutschen Lyrik feine Köpfe, kluge Herzen, die manches fühlen, gute Geschmäcker, tüchtige Könner, die es ernst mit ihrer Arbeit nehmen. Dieser Typ ist unerwartet da: Ein lyrischer Poet, ins Heute verschlagen, ein beständig hintapsender Träumer; der wirkliche, komplette, kranke, verängstigte, psychopathische Romantiker. Manche Lyriker hatten das teilweise, manche spielen es. Er ist es, durch Geschick, Unglück, konsti¬tutionell ... Haringer ergeht sich lässig, einfach, bis zum Knittelvers, bis zur Trivialität. Er ist bloß Mensch, kein repräsentierender deutscher Dichter.“
Neben den im Literaturhaus der Dokumentationsstelle für neue österreichische Literatur Wien gesammelten Briefen und Zeugnissen ist die größte Sammlung von Dokumenten zu Jakob Haringers Leben und Werk in der Schweizer Nationalbibliothek zu finden. Dieser Nachlass umfasst Manuskripte, Typoskripte, amtliche Akten, Einzelblätter, Zettel,
Zeitungsausschnitte und Briefe von Haringer selbst, darunter Briefwechsel mit Wilhem Altwegg, Francois Bondy, Hermann Hesse, Paul I1g, Otto Karrer, Ossip Kalenter, Gertrud Kurz, Emil Ludwig, Hans Oprecht, Fritz Strich und Hans Zbinden. Zusammen mit den Akten aus dem Staatsarchiv München sind dies die Quellen zur Kenntnis über Leben und Werk Jakob Haringers. Sie laden zu weiteren Recherchen und vertiefenden Studien ein. Mitunter wurden der vorliegenden Recherche Grenzen gesetzt, bei¬spielsweise sind gerade Haringers Handschriften nicht ohne größere Ausgaben zu entziffern oder etwa die Auflagen zur Arbeit in den Archiven mitunter sehr hoch. Ohne zeitgemäße Behandlung des Materials in den nächsten }ahren dürfte darüber hinaus ein Teil der Sammlung aufgrund seines schlechten Zustandes nicht mehr zu retten sein.
Im Anhang des Buches findet sich darüber hinaus erstmals die voll¬ständige Kritik zu Haringers Werk von E. Wolfram aus der Nazi-Kulturzeitschrift Nationalsozialistische Monatshefte. Der Herausgeber und Dichter Theodor Sapper, der im Jahre 1965 im Stiasny Verlag, Graz, den Band „Der Hirt im Mond“ mit Haringers Texten veröffentlichte, schildert in den handschriftlichen Anmerkungen „Allererste Begegnung mit Jakob Haringer“ seine Eindrücke. Als Zugabe findet sich im Anhang ein Originalnachdruck von Haringers Zeitschrift Die Einsiedelei - Ein Stundenblatt Nr. VIII. bis Nr. XV, die selbst antiquarisch kaum mehr zu finden ist.
328 Seiten, Hardcover. ISBN 978-3-00-057859-5 25.--€
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